Der Leistungskult und seine Folgen Drucken
Dienstag, den 17. August 2010 um 23:58 Uhr

Der DGB macht auf die gesundheitlichen Folgen der Arbeitslosigkeit aufmerksam. Eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zeigt, das Erwerbsarbeitslose je nach Altersgruppe teilweise fast doppelt so häufig krank sind wie Erwerbstätige. Mit zunehmendem Alter nimmt auch die Häufigkeit von diagnostizierten Erkrankungen von Menschen ohne Erwerbstätigkeit im Vergleich zu Erwerbsarbeitsbeschäftigten immer weiter zu.

Auch psychische Krankheiten kommen bei Arbeitslosen doppelt so häufig wie bei Erwerbstätigen vor. Laut Angaben der Techniker Krankenkasse sollen sich in den Jahren 2000 bis 2009 die Fehlzeiten von Erwerbslosen aufgrund diagnostizierter psychischer Erkrankungen verdoppelt haben. Diese Zunahme lässt sich insbesondere durch die mit der Hartz IV-Gesetzgebung intensivierten Repressalien und Nötigungen erklären, denen erwerbsarbeitsfreie Menschen ausgeliefert werden, im Rahmen eines schrumpfenden und degenerierenden Arbeitsmarktes.

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach erklärt gegenüber der "Frankfurter Rundschau": "Arbeitslos zu werden, ist für viele Menschen ein Schicksalsschlag. Und je länger die Arbeitslosigkeit dauert und je geringer die Perspektiven auf einen Wiedereinstieg sind, desto belastender wird die Situation für die Betroffenen und ihre Familien." Als Konsequenz daraus fordert Buntenbach Hilfe für die Betroffenen durch "geeignete Maßnahmen zur Vorbeugung".

"Prävention und gesundheitliche Stabilisierung von betroffenen Arbeitslosen stehen an erster Stelle und sind unerlässlich. Aber der Weg aus der Krankheit kann für viele Betroffene nur dann beschritten werden, wenn ihnen eine berufliche Perspektive aufgezeigt wird, die sie wieder in Beschäftigung führt.

Sie brauchen eine gute berufliche Rehabilitation und Weiterbildungsmaßnahmen, die ihnen genau dies bieten: Eine Chance auf nachhaltige Integrationen in den Arbeitsmarkt", so Buntenbach weiter. Diese Sichtweise ist jedoch sehr eindimensional, da sie sich auf den allgemeinen gesellschaftlichen Fetisch der Erwerbsarbeit beschränkt.

Damit stellt sie nur rudimentär einen Lösungsansatz zur Verfügung, der in vielerlei Hinsicht vielmehr selbst das verursachende Problem darstellt. Angesichts eines grundsätzlich abnehmenden, und durch die bisherige Sozial- und Wirtschaftspolitik auch marode gemachten Erwerbsarbeitssystems ist der dieser Realität völlig zuwider laufende wahnhafte Kult um Erwerbsarbeit eine der wesentlichen Ursachen des daher überhaupt erst zum Problem werdenden ökonomischen Phänomens der Arbeitslosigkeit.

Einher gehen damit auf der ökonomischen Ebene die überhaupt nicht mehr zeitgemäße, und innerhalb des gegenwärtigen Monopolkapitalismus ohnehin destruktive dogmatische Kopplung von Erwerbsarbeit und Einkommen, und mit dieser wiederum die Vorstellung von Erwerbseinkommen als einzige Form regulären gesellschaftlichen Einkommens. Ebenso auf der ideellen Ebene begleitet den derzeitigen Erwerbsarbeitskult ein ökonomistisch reduziertes Arbeitsverständnis, dem zufolge weitestgehend nur Erwerbsarbeit als reguläre, produktive Arbeit angesehen wird.

Diese Vorstellungen werden von einer moralistischen Dogmatik getragen, die ihrerseits von einer modernen, ökonomisierten Form rassistischer Ideologie geprägt ist. Sie charakterisiert sich dementsprechend insbesondere über Paranoia, sowie Schuld- und Minderwertigkeitskomplexe, die sich in einer kultisch-moralischen Stilisierung von Leistung und zugleich deren ökonomistischen Reduktion auf erwerbsmäßige, strukturierte und entlohnte, arbeitsteilige Produktionstätigkeiten kompensieren.

Die permanente Konditionierung und emotionale Manipulation durch die gegenwärtigen, massiv von derartigem rassistischen Moralismus geprägten Informations- und Bildungsstrukturen fördert und forciert auf diese Weise die Ausprägung von persönlicher Identifikation mit ökonomistischen Leistungsattributen. Und damit letztlich das sozialrassistische Menschenbild, vom Menschen als eine vorrangig ökonomischen Bedürfnissen dienstbare Funktionseinheit, deren Wert und sozialer Status sich primär über Leistungsfähigkeit definiert.

Deutlich gemacht werden muss daher auch, dass die mit der Arbeitslosigkeit einhergehenden Problematiken keineswegs nur auf den zunehmenden Mangel an Erwerbsarbeit innerhalb der monopolistisch strukturierten Produktionsökonomie zurück zu führen sind, sondern auch auf ein reaktionäres, rassistisches, und letztlich religiös geprägtes Welt- und Menschenbild, mit dem sich auch eine dementsprechend autoritäre, repressive und ruinöse Sozial-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik begründet.

Die mangelnden Perspektiven von Erwerbsarbeitslosen innerhalb des Erwerbsarbeitssystems sind also nicht das alleinige und grundsätzliche Problem. Ebenso ist genau umgekehrt auch die Fixierung auf Erwerbstätigkeiten Teil eines grundsätzlichen kulturellen Problems, das Erwerbstätige nicht weniger als Erwerbsuntätige betrifft. Dies beinhaltet insbesondere auch den gesellschaftlich und staatlich nötigenden Zwang zu dieser Fixierung, und ein damit zwangsläufig einher gehender Mangel an Perspektiven für eine außergewerbliche, individuelle Sinngebung des Lebens.

Was somit neben individuellen und angemessenen Weiterbildungs- und Arbeitsförderungen für erwerbsarbeitsfreie Menschen fehlt, ist eine darüber hinaus gehende Perspektive für eine Lebensgestaltung, die unter Umständen völlig auf traditionelle Erwerbsarbeitsstrukturen verzichten kann, und an deren Stelle individuell sinnstiftende Tätigkeiten rückt, für die in einer Kapitalverwertenden Ökonomie kein Platz sein mögen. Ohne dass dies derartige Formen von Arbeit, wie im Rahmen gegenwärtiger rassistischer Moralismen, abwertet.

Dafür müssen jedoch auch ideelle Bedingungen geschaffen werden. Ein rassistisches Leistungsverständnis, das Menschen auf ökonomische Nützlichkeitsfunktionen reduziert, muss durch ein emanzipiertes Leistungsverständnis ersetzt werden, welches besonders auch außerhalb kapitalistischer Produktivität praktizierte individuelle und soziale Tätigkeiten würdigt und respektiert.

Zudem muss das ökonomische Leistungsverständnis der wirtschaftlichen Tatsachenrealität der arbeitsteiligen Fremdversorgung entsprechend auf der realen, erst durch Konsum stattfindenden Wertschöpfung gegründet werden. Das heißt, ökonomisch gesehen wird erst durch den Konsum produzierter Güter eine Leistung erbracht, die Grundbedingung für weitere Produktivität ist. Denn ohne Umsatz findet auch keine Produktion statt.

Ebenso müssen auch die notwendigen gesellschaftlichen Bedingungen geschaffen werden. Und eben hier ist die Gesellschaft im Besonderen gefordert. Nämlich um freiheitliche Bedingungen anstelle ewig neuer Repressalien und zunehmender Armut und Entrechtung politisch durchzusetzen.

Es ist die derzeit fehlende politische Freiheit der Gesellschaft, verstanden als Berechtigung zu und Ermöglichung von kultureller, ökonomischer und politischer Teilhabe und Gestaltung, welche notwendige Grundlage für die individuelle Entfaltung des Menschen für sich selbst und in der Gesellschaft ist.

Ebenso dürfen irrationale, rassistische Leistungsideologien nicht länger widerspruchslos hingenommen werden, insbesondere wenn sie Bestandteil oder Grundlage einer volksverhetzenden Polemik und Propaganda sind, um weite Teile der Gesellschaft gegen die Menschen aufzuwiegeln, die aus den gegenwärtigen sozioökonomischen Privilegierungsstrukturen gefallen sind. Aufwiegelung, die aus einem rein herrschaftlichen, machtpolitischen Kalkül erfolgt.

Um die Gesellschaft als Ganzes durch innere Zerrüttung, rassistische Konditionierung und ökonomistische Dienstbarmachung aus politischen Teilhabe- und Mitbestimmungsprozessen weitestgehend heraus zu drängen und zu halten. Um auf diese Weise die Machtstrukturen einer monopolistischen Kapitalverwertung zu stärken und auszubauen.

Eben darum ist es heute dringlicher denn je, einem autoritären, privilegierenden Herrschaftsgefüge eine freiheitliche, egalitäre Gesellschaftsordnung entgegen zu setzen. Sowie einem rassistischen Leistungs- und Arbeitskult ein freiheitliches Wirtschafts- und Tätigkeitsverständnis. Der unentwegten Kompensation persönlicher Übervorteilungs- und Schuldkomplexe die Emanzipation durch die Würde, Vernunft- und Gewissensbegabung des Menschen.

Und dem zunehmend perspektivloser und repressiver werdenden Dogma der Kopplung von Erwerbsarbeit und Einkommen ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Um mit diesem wiederum ein neues soziales Paradigma zu etablieren: Die Teilhabegesellschaft anstelle einer Leistungsgesellschaft. Die den Wert eines Menschen nicht anhand kompensatorischer Leistungsaffirmationen bestimmt, sondern Leistungen jeder Art anhand der Gleichwertigkeit aller Menschen ermöglicht und fördert.