Unruhen in Ägypten & politische Hintergründe Drucken
Geschrieben von: Baraka   
Montag, den 31. Januar 2011 um 01:23 Uhr
  •    Proteste in Ägypten

Auch am Sonntag haben sich in Kairo und anderen ägyptischen Städten wieder mehrere zehntausend Menschen mit der Forderung nach einem Regimewechsel versammelt. Damit dauern die Proteste inzwischen sechs Tage lang an. Nach Medienangaben sollen dabei bislang 150 Menschen ums Leben gekommen sein. Präsident Husni Mubarak hatte auf die Unruhen mit einer Ansprache, einer neuen Führungsriege und Medienzensur reagiert.

Am Sonntag wurde nun auch die Ausstrahlung von Al-Jazeera verboten. Die ägyptische Satelliten-Übertragungsgesellschaft Nilesat hat die Übertragung des Senders gestoppt, dessen Büro in Kairo wurde von den Behörden geschlossen. Al-Jazeera hat am Sonntag unter anderem berichtet, dass ägyptische Oppositionsführer planen, mit der ägyptischen Armee, die auch am Sonntag eine starke Präsenz im ganzen Land ausübte, aber nicht mit Mubarak über die Bildung einer Übergangsregierung zu verhandeln.

Mohammed el Baradei hat unterdessen seinen Führungsanspruch über die Opposition bekräftigt. Er habe "von den politischen Kräften" den Auftrag erhalten, "eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden", wird er zitiert. Weiterhin ist offen, ob und inwieweit die Proteste und Teile der Opposition möglicherweise von westlichen Regimes benutzt oder gesteuert werden.

So sollen etwa führende US-Neocons und Vertreter der amerikanischen Israel-Lobby US-Präsident Obama öffentlich dazu aufgefordert haben, die bisherige milliardenschwere finanzielle Unterstützung des ägyptischen Regimes zu stoppen und damit dafür zu sorgen, dass Mubarak abtritt und stattdessen der ägyptische Geheimdienst-Chef und neue Vizepräsident Omar Suleiman Staatschef von Ägypten wird.

Dies lasse den Schluss zu, dass der Aufstand in Ägypten insbesondere von den USA vorbereitet worden sei, so wird spekuliert. Die zionistische Lobby wolle ihre ägyptische Diktator-Marionette Mubarak austauschen, weil dieser zu schwach und angreifbar geworden sei. Stattdessen sei der wegen Folter und fragwürdigen Verhaftungen berüchtigte Suleiman der neue Mann Israels und der USA in Ägypten.

Die USA sollen Ägypten jedes Jahr rund 1,3 Mrd. Dollar an Militärhilfe zukommen lassen haben. Die Munition, Schlagstöcke und das Tränengas, mit dem die Polizei anfangs gewaltsam gegen die Demonstranten vorgegangen war, stammten aus amerikanischer Produktion. Ägypten sei der Dreh- und Angelpunkt der amerikanischen Politik im Nahen Osten. Misstrauisch mache auch das Schweigen bzw. die unklare Haltung amerikanischer und europäischer Regimes gegenüber der ägyptischen Regierung.

Es gebe bislang keine eindeutige Positionierung zugunsten der Demonstranten und gegen die Mubarak-Regierung. Dies spreche für die engen Verbindungen des Westens gegenüber diesem Regime. US-Vizepräsident Vizepräsident Joe Biden soll bereits am Donenrstag deutlich gemacht haben, dass die USA den ägyptischen Staatschef weiterhin unterstütze. Mubarak sei in vielen Fragen ein amerikanischer Verbündeter gewesen. Er habe sich zu den geopolitischen Interessen der USA in der Region und bei der Normalisierung der Beziehungen zu Israel sehr kooperativ verhalten, so Biden.

Auch Wikileaks-Dokumente weisen auf ein Doppelspiel westlicher Regimes gegenüber Ägypten hin. Die US-Regierung sei öffentlich bislang ein Unterstützer von Mubarak gewesen, so gehe aus von Wikileaks veröffentlichen US-Diplomaten-Depeschen hervor. Während Mubarak als wichtiger Verbündeter im Nahen Osten gelobt worden sei, sei zugleich auch die Opposition unterstützt worden. Seit rund drei Jahren seien heimlich führende Persönlichkeiten hinter dem gegenwärtigen ägyptischen Aufstand gedeckt und bei Planungen für einen Regimewechsel unterstützt worden.

Offiziell bleibe derzeit aber der ägyptische Machthaber erster Ansprechpartner für die westlichen Regime. Gewarnt wurde stattdessen vor einer Islamisierung des Landes. Fraglich bleibt, wie ernstgemeint die erst in Anbetracht der Unruhen laut werdenden Forderungen nach mehr Demokratie in dem Land sind. Zu den Vorgängen rund um die gewaltsame Eskalation der Proteste schweigen die westlichen Regime.

Gemutmaßt wird weiterhin, dass Mubarak selbst aktiv dahinter stecke. So sei der Rückzug der Polizei angeordnet worden, um Plünderern und Randalierern das Feld zu überlassen, um damit Stimmung gegen die Proteste zu machen und staatliche Gewaltanwendung gegenüber Demonstranten zu legitimieren. Berichtet wurde auch von Massenfluchten aus Gefängnissen, die gezielt geöffnet worden seien, um Chaos zu stiften. Aus Polizeikreisen selbst sei verlautet worden, dass Gefangene freigelassen werden und die Beamten sich anschließend zurück ziehen sollten.

Die Ernennung Suleimans zum Vizepräsidenten wird als Versuch Mubaraks gewertet, das Militär auf seine Seite zu ziehen. Die Soldaten sollen bislang zurückhaltend agieren, und sich bisweilen mit Demonstranten verbrüdert haben. Auf dem Tahrir-Platz, dem Zentrum der Proteste in Kairo, hatten nach Medienberichten muslimische Demonstranten gebetet, während sie von Christen beschützt worden seien.

Unklar ist die Versorgungslage in dem Land. Viele Geschäfte seien bereits leer. Viele Menschen hätten Hamsterkäufe getätigt, um die Versorgung ihrer Familien sicherzustellen. Wie lange die Vorräte noch reichen, ist offen. Ab Montag soll die Polizei wieder ihren Dienst aufnehmen. Unter den Plünderern der vergangenen Tage seien auch Polizisten und Sicherheitskräfte gewesen, heißt es.


 

  •    Deutsche und EU-Politik im arabischen Raum

Anlässlich der aktuellen Entwicklung in Ägypten fordert die Linke den Rücktritt von Präsident Mubarak sowie eine grundsätzliche Änderung der deutschen Politik im arabischen Raum. Ein Geheimdienstchef mit ausgezeichneten Beziehungen zum Mossad und zum CIA, eingesetzt als Vizepräsident und möglichen Nachfolger im Amt des Präsidenten, spreche nicht für Demokratisierung sondern für Militarisierung, so die Mitglieder des Vorstandes der Linke, Wolfgang Gehrcke, Tobias Pflüger, Christine Buchholz.

Für die Entwicklung in Ägypten lasse dies Schlimmes befürchten. Das Regime in Ägypten habe nach außen die innere Machtbalance wieder hergestellt, aber die Ruhe in Kairo ist eine Friedhofsruhe, die nicht von Dauer sein werde. Die Linke unterstützt die Forderung der Demonstranten nach Rücktritt von Hosni Mubarak und nach freien Wahlen. Alle Wahlen in den vergangenen zwei Jahrzehnten seien eindeutig gefälscht gewesen, mit Wissen und Tolerierung von Regierungen der USA und von EU-Staaten.

Die deutsche Außenpolitik gegenüber den arabischen Ländern müsse grundlegend geändert werden. Die Doppelbödigkeit im Umgang mit Menschenrechten müsse beendet werden. Mit dem Hinweis auf die Stabilität in der Region dürften nicht beide Augen zugedrückt werden, wenn es z.B. um Pressezensur oder inhaftierte Oppositionelle geht. Ein wesentlicher Auslöser für die aktuellen Massenproteste in Ägypten seien steigende Lebensmittelpreise gewesen. An diesen trage insbesondere die Wirtschaftspolitik von EU und EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland wesentliche Mitschuld.

In Ägypten, Jordanien, Tunesien, Jemen u.a. Ländern der Region müssten grundlegende demokratische und soziale Veränderungen erfolgen. Die Linke fordert von der Bundesregierung insbesondere die Waffenlieferungen aus den EU-Staaten in den Nahen Osten sofort stoppen. Deutschland als Mitglied des Weltsicherheitsrates stehe hier in einer besonderen Verantwortung. Die Linke fordert die Bundesregierung auf, Mubarak nicht weiter zu unterstützen und wünscht der demokratischen Protestbewegung Erfolg.