Stuttgart 21 - Das Versagen der durch Machtpolitik missbrauchten Polizei Drucken
Geschrieben von: Baraka   
Dienstag, den 15. Februar 2011 um 20:41 Uhr

Ein Interview auf fluegel.tv mit Thomas Wüppesahl, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten über den Polizeieinsatz vom 30. September, als vermummte und prügelnde Schlägertruppen, offiziell "Polizisten", auf politische Weisung hin auf friedliche Demonstranten, darunter auch minderjährige Schüler losging.

 

Sondersendung mit Thomas Wüppesahl from fluegel.tv on Vimeo.


Auszüge aus einer Pressemitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten von Anfang Februar:

Das eine sind die ägyptischen Verhältnissen, bei denen Polizeibeamte ohne Uniform mit Geheimdienst-Ganoven und anderen Nutznießern des diktatorischen Mubarak-Regimes – wie zum Beispiel von „Abgeordneten“ bezahlten Schlägern - einen friedlichen Protest gezielt und organisiert in einen unfriedlichen Kampf verwandeln. Das andere sind die erheblichen Hinweise darauf, dass eingesetzte staatliche Provokateure am 30.09.2010 bei „Stuttgart 21“ Gewaltbilder produziert haben. Die sowohl in der BILD-Zeitung als auch bei den zahlreichen Filmvorführungen der Polizei zum Beispiel bei den Landtagsabgeordneten macht den Eindruck, als sei sie durch eine staatliche Laienschauspielertruppe, gut organisiert, und in vielen Dienststunden einstudiert. Worin besteht eigentlich der systemische Unterschied zwischen diesen beiden Fällen?

Systemisch gibt es keinen Unterschied. Es ist ein gradueller Unterschied, auch wenn die eine Handlung in einer Despotie unter demokratischer westlicher Schirmherrschaft (USA, EUStaaten) stattfindet und die andere in einer republikanischen Demokratie. In beiden Fällen geht es um Macht, Herrschaft und wirtschaftliche Interessen. In beiden Fällen werden die Aggressoren staatlich ent- bzw. belohnt. Selbstverständlich erfolgte es bei „Stuttgart 21“ nicht so plump wie jetzt in Kairo, wo selbst die JournalistInnen und andere BeobachterInnen schnell herausfanden, was Mubarak und seine Vasallen anrichteten und darüber berichteten.

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Alle höheren PolizeibeamtInnen, die in Dutzenden bis Hunderten Gesprächen mit „ihrem“ Minister in der Bundesrepublik Deutschland zu brisanten Einsätzen (Geiselnahmen, gewisse Demonstrationen usw.) kommunizierten, wissen darum, dass die entscheidenden Sätze vor oder nach dem offiziellen Besprechungsanlass ausgetauscht werden. Diese Äußerungen finden sich in keinem Protokoll wieder, unterliegen in der Regel vor Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und anderen Verfahren Erinnerungsausfällen der beteiligten GesprächspartnerInnen (incl. ProtokollantInnen) und stellen faktisch – wie auch bestimmte Non-Paper – sogenannte „nicht stattgefundene Gespräche“ dar.

Die dann hoch gehaltene amtliche „Wahrheit“ ist dann die offizielle „Wahrheit“, die Aktenwahrheit: Letztlich eine Fiktion. Fakt bleibt für alle Kenner bürokratischer Abläufe, den sogenannten Insidern, und solcher Hau-Ruck-Einsätze wie jener am 30.09.2010 im Stuttgarter Schlossgarten, dass die Entscheidung in der Stuttgarter Staatskanzlei und bei Herrn Mappus mit seiner Richtlinienkompetenz als Ministerpräsidenten gelegen hat und auch dort fiel!

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Damit verringern staatliche Organe das wichtigste Kapital unserer Demokratie: die frei und mündige Stellungnahme und Partizipation der BürgerInnen, für die staatliche Organe letztlich ihre dienstleistenden Funktionen wahrnehmen (sollten). Die Polizeien werden so für politische Gruppen und ihre Protestbewegungen nicht mehr einschätzbar. Sie müssen eine zurückhaltendere und gewaltärmere Rolle einnehmen. Durch Einsatzverhalten wie bei den CASTOR-Transporten, „Stuttgart 21“, Abschiebungen, Brokdorf, Anti-Nazi-Demonstrationen oder an der Startbahn West ist die Polizei nicht als Konfliktschlichterin sondern als parteinehmende Macht aufgetreten.

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Um den Anfangsgedanken abschließend aufzugreifen: Das ägyptische Militär verhält sich bis heute um Längen angemessener bei der Revolte des ägyptischen Volkes gegen ihren Staat als die baden-württembergische Polizei bei „Stuttgart 21“. Zu hundert Prozent kann man sagen, dass Mubarak seine Generalität zum Niederwalzen des Protestes seiner Bevölkerung aufgefordert hat.

Die wesentlich in den USA geschulte Führungsliga im ägyptischen Militär – bis hin zu den Offizieren – hält sich nicht nur an die gelernten Inhalte, erliegt auch nicht dem Gebelle des ägyptischen „Ministerpräsidenten“ zum harten Durchgreifen, sondern sorgte jetzt schon zwei Male (!) dafür, dass der friedliche Protest stattfinden konnte, weil sie sich offensichtlich an internalisierte Werte und Zweckrationalität halten kann. Allerdings mit Panzern. Es ist eben eine Armee.

Und was macht der höhere Dienst der baden-württembergischen Polizei noch zwei Tage und nach der Einladung ihres Ministerpräsidenten Mappus zu einem „unverfänglichen“ Kaffeetrinken in der Staatskanzlei? Die verantwortlichen Polizeiführer lassen den friedlichen Protest niederknüppeln (auch gegen SchülerInnen), spritzt sogar Schwerstverletzungen mit Wasserwerfern herbei, lässt provozieren was das Zeug hält, gast, setzt Pfefferspray im Übermaß ein, setzt Agent Provocateurs ein und nähert sich so mehr den Standards der ägyptischen „Polizei“ als dem des ägyptischen Militärs.